Der Roadtrip, eine geradezu romantisch verklärte Institution bei Outdoorsportarten vom Surfen bis zum Skifahren. Man packt sich ein Wohnmobil, Freunde und Essen ein und ist nur unterwegs, um die besten Bedingungen zu suchen. Dem Roadtrip hat es zu solch kultureller Bedeutung gereicht, dass  er es sogar zu einem eigenen Filmgenre gebracht hat, zu dem einige einige Klassiker wie Thelma & Louise gehören. Meist ist die Handlung gespickt mit dramatischen und komödiantischen Elementen, die denen widerfahren, die auf Odysseus Spuren wandeln. Genau wie bei uns; ein Bilderbuch Roadtrip also.

Obwohl es wohl etwas vermessen wäre unseren Trip mit der homerschen Mutter aller Trips zu vergleichen, war es doch etwas ganz besonderes.

Nur eine Woche vorher war der Trip noch nicht einmal Gewissheit, denn es sah nicht unbedingt nach Traumbedingungen und Neuschnee aus. Selbst als dann klar war, dass es schneien würde, war nicht sicher wohin die Reise gehen sollte. Aber das ist ja der Kern eines Roadtrips, der Aufbruch ins Ungewisse. Letztlich wurde erst mittwochabends, nach dem obligatorischen Großeinkauf bei Aldi, entschieden, dass es das Wallis und nicht die Nordschweiz sein sollte. Eine Entscheidung, die keiner von uns je bereuen würde. Das Wallis bot sich als perfekte Kombination aus Neuschnee, Skigebiets- und Tourenmöglichkeiten an, doch es war nicht klar ob es all unseren Erwartungen gerecht werden könnte.

womoinside
Ready to go. Ski und Spielzeug unter der Decke verstaut.

Nach der nächtlichen Anreise erwarteten uns ca. 20cm Neuschnee auf dem Parkplatz des ersten Skigebiets, allerdings lies weder die Aufregung noch der Schneeräumer einen wirklichen erholsamen Schlaf zu. Der nächste Morgen zeigte sich mit 30cm Neuschnee, tiefverschneiten Bäumen und einer hinter den Wolken hervorblinzelnden Sonne aber vielversprechend. 6000 Höhenmeter unverspurten Powder später war der Roadtrip perfekt gestartet. Wir überließen den Anderen um zwei Uhr nachmittags das Feld und es wurde das Ziel für den zweiten Tag gesucht. Auch das ist so eine Nebenwirkung des Roadtrips, man wird zu einem Schneesnob und andere Spuren will man nicht mehr kreuzen, weil man ja einfach ins Wohnmobil steigen und weiterfahren kann.

end-of-road
The end of the road, willkommen am Alpenhauptkamm

Das nächste Ziel war schnell ausgemacht, ein kleiner Ort umgeben von den beeindruckenden 4000ern der Alpen. Und diesmal ist das sprichwörtliche „End of the Road“ wörtlich gemeint, denn der Ort liegt auf 2000m und ist nicht nur im übertragenen Sinne abgeschieden, sondern die Straße endet tatsächlich dort, denn nur ein wenig weiter ergießen sich gewaltige Gletscher in das kleine Hochgebirgsidyll. Es lag hoch genug für die steigenden Temperaturen, nur leider verhießen die Vorhersagen nicht mehr sehr viel Neuschnee für das zentrale Wallis. Der Geograph in mir musste unwillkürlich an das Stichwort Binnenwüste denken, denn wenn 4000m hohe Berge um einen herum sind, wo soll denn da der Niederschlag herkommen? Gottseidank machte die Warmfront keine Anstalten sich an die Vorhersage zu halten und aus 5-10cm wurden 20cm auf die 20cm vom Vortag. Wieder alles richtig gemacht. Zu später Stunde stieß noch der dritte im Bunde der Argonauten mit seinem 4WD Wohnmobil durch das Schneegestöber zu uns, um am nächsten Tag gemeinsam mit uns das goldene Powdervließ zu rauben.

 

Der nächste Morgen begann wie gewohnt, frischer Neuschnee, Helikopter die Lawinen sprengen und 900m Höhenmeter Powder vom Tellerlift aus. Moment mal… vom Tellerlift? Ja dieses Pulververgnügen verlangt Stehvermögen, denn seine Urigkeit verdankt das Skigebiet auch der Tatsache, dass hier keine beheizten Hochgeschwindigkeitssessellifte angetrunkene Flachländer ins Gebirge schaufeln, sondern einen der Einpersonentellerlift von 2000 auf fast 3000m Seehöhe bringt und man den Pulver nur mit einigen Unentwegten teilen muss.

tellerlift
Tellerlift to infinity. 20 Minuten lang fit im Schritt sein.

Es war wieder ein Wahnsinnstag und ihr fragt euch sicher: wo sind denn die tragischen oder komödiantischen Elemente des Roadtrips? Gleich hier, denn es ging schlagartig von himmelhoch jauchzend zu zu Tode betrübt, denn ein tragisches Element gab es gleich auf der ersten Abfahrt. Eine kleine Unachtsamkeit auf dem von Lawinenbrocken überdeckten Ziehweg beförderte mich kopfüber in den Schnee und mein Nacken wurde bedenklich gestaucht. Nachdem mich meine Mitstreiter beruhigt hatten und meine (im nachhinein wohl etwas übertriebenen) „Oh Gott ich habe mir das Genick gebrochen!“ Rufe verhallt waren, stellte ich fest, dass ich mir wohl nur etwas den Nacken gezerrt hatte und weiter 30-40cm Pulver auf uns warteten. Also Doktor Med. oder Doktor Pulver? Der Roadtripper entscheidet sich im Zweifelsfall für Dr. Pow und wir beendeten einen weiteren glorreichen Roadtrip Tag nach sieben Runden im Freeridekarussel in der Sonne beim Parkplatz aprés Ski.

sonnebier
Life on the road is good, solange man Powder, Bier, Freunde und Sonne hat. In genau dieser Reihenfolge!

Am nächsten Morgen war von meinem Unfall nur noch eine kleine Steifheit der Nackenmuskulatur geblieben. Da es keinen nächtlichen Neuschnee gab, heisst das für den ambitionierten Pulverschneesüchtigen: auf Tour gehen. Lawinenstufe Drei schränkt die Linienwahl natürlich ein, aber letztenendes fanden wir eine tolle Möglichkeit direkt von unserem Schlafplatz aus. Geschätzte 78 andere Tourengeher fanden diese Tour aber auch anziehend. Da jedoch der Roadtripper, ohne Zeitdruck wie z.B. einer Liftöffnung, nicht aus den Federn kommt (im Gegensatz zum klassischen Tourengeher, dessen ausdauergestählter Körper beim ersten Hahnenschrei aus dem Massenlager der Berghütte schnellt) waren sie auch alle vor uns am Berg. Egal. Die Sonne genießen und vor dem vorhergesagten Föhnsturm noch den Pulver mitnehmen bevor er sich durch den Wind in eine tödliche Triebschneefalle verwandelt.

tour
Vor dem Powder steht der Aufstieg und die Fähigkeit auch mal hinter dem nächsten Grat nach einer Abfahrt zu suchen.

Das Gute am gemeinen Tourengeher ist aber, dass er gerne bunten Pfeilen auf Karten folgt, während der Powdersüchtige eher unkonventionell an die Sache herangeht und sich fragt, ob man nicht auch im viel einladenderen Nebental abfahren kann. Man kann.

tourtop
Liebes Blogtagebuch, hier bin ich im Wallis und mache eins von fünfhundert furchtbar gestellten Photos.

Und warum soll man bei schönstem Sonnenschein nicht zurück zum Auto trampen oder auf den Bus warten anstelle den Horden zu folgen? Flexibilität ist des Roadtrippers Trumpf. Eine kurze Sicherheitsanalyse der zu fahrenden Linie später verspurten wir einen phänomenalen Hang selbst erarbeiteten jungfräulichen Powders direkt bis zur Straße, wo das erste Auto einen von uns mitnahm. Ab 14 Uhr saßen wir zusammen im Pullover in der Sonne und stießen mit einem Bier auf den gelungenen Tag Nummer drei an.

 

Der Leser fragt sich: Die Perfektion kann doch nicht ewig dauern und er hat doch etwas von Föhnsturm geschrieben, oder? Ja der nächste Tag war wirklich einer zum Pause machen. Sturm, keine Sicht und schlappe Muskeln halfen bis 11 Uhr morgens im Wohnmobil zu frühstücken, aber dann kam das komödiantische Roadtrip Element zum Zug, denn erwachsene Männer Ende Dreissig haben immer viel Spielzeug dabei. Zum Beispiel einen Powdersurfer, in den 80ern als Snurfer bekannt und heutzutage wieder ein heisser Trend (Warum auch immer).

snurfdrop
Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für den Snurfer, weil jeder noch so kleine Drop der letzte sein könnte.

Im Wesentlichen ist das ein Snowboard ohne Bindung und ohne Kanten mit dem man nur Tiefschnee fahren kann. Natürlich ist es auch viel schwieriger und viel gefährlicher als normales Snowboarden und man kann nur viel langsamer fahren, da man ja jederzeit von dieser Höllenmaschine herunterfallen kann. Es ist also das Snowboarderische Äquivalent zu Telemark beim Skifahren. Es sorgt aber auch für unheimliche Erheiterung an ansonsten eher grauen langweiligen Tagen. Allerdings sehe ich sein Trendpotential ähnlich beschränkt wie das des Telemarkskifahrens, denn wer macht sich schon freiwilig an den besten Pulvertagen das Leben schwer, um sich dann womöglich auch noch ständig zu verletzen?

snurftheworld
Flirting with disaster.

Danach ging es an die französische Grenze des Wallis, um auf den Neuschnee zu warten, der dort kommen sollte. Am Montag gab es nette kleine Skitourenrunden in den Bäumen, während der Sturm weiter heulte.

Dienstagmorgen gab es aber statt des erwarteten Neuschnees: Nichts. Absolut gar nichts, nur zwei Zentimeter warme Pampe und weiteren Sturm. Roadtripper drei musste ohnehin nach Hause und verabschiedete sich. Wir waren kurz davor einzuknicken und die Segel zu streichen. Es wurde aber entschieden die neuesten Prognosen abzuwarten, denn Mittwoch sah immer noch nach dem Tag der Tage in den Modellen aus. So vertrödelten wir den Dienstag in der Therme. Thermen und öffentliche Schwimmbäder sind ein Geschenk des Himmels an den Roadtripper, denn dort gibt es warmes Wasser und man kann duschen, was nach zwei bis drei Tagen unterwegs Sein ein immer zentraleres Thema wird. Im Wohnmobil darf bei Frost kein Wasser im Tank sein, was Roadtrips im Winter zu einer sehr archaischen Geruchserfahrung werden lassen kann, wenn man nicht aufpasst. Selbst die besten Deos kapitulieren meist nach drei Tagen harten Skifahrens und man sitzt in einer Wolke echter Männlichkeit.

 

Mittags gab es immer noch kein Zeichen von Neuschnee oder Kälte und wir legten 17-18 Uhr als Deadline für eine Entscheidung fest. Doch das Blatt wendete sich und um fünf Uhr nachmittags legte der Schneefall richtig los, Snowpocalypse now sozusagen. Bis neun Uhr abends waren bereits 15-20cm Neuschnee gefallen, es wurde kälter und wir gingen mit diesem gewissen Kribbeln ins Bett, dass sich etwas Großes für unseren Abschlusstag ankündigte. Um 6 Uhr morgens konnte ich schon nicht mehr schlafen und sah dem Schneeräumer zu wie er die mehr als 30cm Schnee vom Liftparkplatz in den Bach schob. Die Explosionen der Lawinensprengungen in der Dunkelheit ließen die Vorfreude steigen, denn oben musste noch deutlich mehr gefallen sein als auf dem Parkplatz. Um 9 Uhr saßen wir pünktlich in einem der ersten Sessel nach oben und schon die ersten Abfahrtsmeter machten klar wohin die Reise gehen würde. Knapp 50cm feinster Powder hießen: Today is the day. Über 8000 Höhenmeter verschwommen zu einem einzigen Eindruck des besten Tages der Saison. Faceshots, Pillows, Felsendrops, hüfttiefe Schwünge, BÄM BÄM BÄM, es ging Schlag auf Schlag und angehalten wurde nur am Lift. Jede 700 Höhenmeter Runde wurde ohne Pause durchgebombt, das Grinsen zog sich von einem Ohr zum anderen und der Powder klebte im Bart. So endete unser perfekter Roadtrip mit einem perfekten Tag.

end
Womo freischaufeln nach dem perfekten Tag, hell yes!

Danke liebes Wallis.

À bientôt!