Im Gegensatz zu Bruce Willis in den „Stirb Langsam“ Teilen oder Mel Gibsons Sidekick in den Lethal Weapon Filmen der 80er Jahre bin ich nicht „zu alt für den Scheiss“. Und dachte mir „jetzt erst recht“ –was ungefähr die Übersetzung für „with a vengeance“ ist- als wir uns im Wallis nach Tourenzielen umgesehen haben. Ich musste zwar nicht an einem Feuerwehrschlauch aus einem Hochhausfenster springen, aber es gab durchaus „da musst du jetzt durch“ Parallelen zwischen mir und dem Halbglatzen Haudrauf Bruce, als ich zum Beispiel nur mit einem Fixseil in den Händen ohne Sicherung einen 40° steilen Schotterhaufen hinunterlaufen musste.

Es zieht sich wie ein Muster durch diesen Winter in den Alpen. Wenn es schneit, dann im Westen am meisten, der Schneedeckenaufbau ist am besten und es hat wirklich spannende Berge dort. Zum Beispiel liegt der Talort in Arolla auf der Höhe wo der Bregenzerwald bereits endet. Also ist es nicht verwunderlich, dass ich zwei Tage nach unserem Roadtrip wieder in das gelobte Land aufbrach.
Zuerst gab es wieder die übliche Routine, um 5 Uhr morgens aufstehen, den guten alten 4WD Passat beladen und ab in den Sturm. Bei Ankunft 50cm Neuschnee verspuren. Das Übliche eben. Mit dem kleinen Unterschied, dass wir endlich auch mal wieder unsere amerikanischen Ex-Pat Freunde aus Genf und Lausanne gertoffen haben und dass der Schnee nicht ganz so perfekt war wie am legendären Mittwoch aus dem Roadtrip Posting, denn diesmal hatte es kalt angefangen zu schneien und ist dann wärmer geworden, letztes mal war es umgekehrt. Das Ergebnis war ein leichter Deckel auf dem fluffigen Pulver darunter. In etwa so, als würde man Quark auf luftig geschlagene Sahne geben.

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Postkarten Powder ohne Quarkdeckel, hoch oben im Wallis

Gregor hatte sich zwar angekündigt, ist am Samstag aber an der Unvereinbarkeit von Ausgehen und Outdoorsport gescheitert, denn als er um 10 Uhr morgens aufgewacht ist, befand er sich noch drei Autostunden von möglichen Tiefschneeträumen entfernt in seinem Züricher Bett. Nun ja, wer zuviel trinkt, den bestraft das Leben.
Schon an diesem Tag versuchte ich dem „jetzt aber richtig“ Motto gerecht zu werden, denn Powder fahren ist ja gut und schön, aber im Gedächtnis bleiben einem die richtigen Linien und so versuchte ich mich am Nachmittag noch an eine witzigen pseudo Spine Linie unterhalb der Baumgrenze. Auch im Wald wurden direkt die spannenden Sachen angesteuert, da an einem Wochenende auch die Leute im Pulver unterwegs sind, die kein Sabbatjahr haben. Gregor schaffte es dann dann pünktlich am Abend zu uns in die Therme, um wenigstens noch am Sonntag etwas Neuschnee mit uns zu fahren.
Am nächsten Tag spielte das Wetter nicht wirklich mit und wir hatten keine Lust auf Konkurrenz am Lift, daher haben wir die Felle angeschnallt und sind abenteuerlustig im Wald herumgekrochen. Auch hier haben wir getreu unseres Mottos nur die Aufstiegsspur der Anderen genutzt und sind ein feines verstecktes Couloir runter gefahren. Das Problem ist nur, dass man auf der falschen Seite des Bachs wieder raus kommt. Aber, wenn eine Brücke in der Topokarte eingezeichnet ist, muss die doch irgendwo sein! Wer eine zweite Runde drehen will muss zurück zur Aufstiegsspur. Ich fühlte mich wie Alexander von Humboldt auf Entdeckungsreise am Amazonas, naja oder auch nicht.
Meine Erleichterung über eine Brücke verwandelte sich in Überraschung, als ich mit der halben Schneebrücke vom festen in Richtung des flüssigen Wassers flog und mich 1,5m tiefer im Bach wiederfand. Leider war die „Brücke“ keine echte Fußgängerbrücke, sondern nur ein zwanzig Zentimeter breiter Baumstamm als Brückenersatz gewesen. Darauf hatte sich über ein Meter Schnee angesammelt und war oben über einen halben Meter breit. Dummerweise war die Mitte der Schneebrücke nicht die Mitte des Baumstamms und ich fiel sang und klanglos mit der einen Hälfte des Schnees herunter. Anstatt mir zu helfen amüsierten sich Gregor und Alja ganz großartig auf meine Kosten, während ich auf meiner feuchten kleinen Schneeinsel im Bachbett umherstapfte.

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Doppelt so lustig wie es aussieht. Für alle anderen zumindest.

Eine gute Wettervorhersage, eine stabile Schneedecke und richtige Linien ließen uns wieder Herz des Wallis aufbrechen, um dort endlich mal ein paar tolle Sachen zu fahren, statt nur namenlose Powderruns aneinanderzureihen. Nichts gegen namenlose Powderruns, doch es kann ja nicht ewig weiterschneien, ausser in einer perfekten Welt vielleicht. Am ersten Tag war die Lawinengefahr noch erheblich und wir tollten ein ums andere Mal durch das Variantengelände im Skigebiet.

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Ja, es hat sich so gut angefühlt wie es aussieht.

Am Abend starrten wir gebannt auf die gegenüberliegende Talseite. Eine Gruppe Verwegener hatte eine der Trophäenlinien in unserem Ort eingespurt. Wir blickten sehnsüchtig auf das strahlend weiße Couloir, dass sich verlockend zwischen den 3600m hohen Felsnadeln der Aguille de laTsa im Sonnenschein räkelte. Wie der Zufall es so wollte war die Gruppe auch in unserem Hotel.

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Die Aguille de la Tsa und ihre Couloirs, Objekte der Begierde.

Yeah, alles richtig gemacht und in der Alpinismus Herberge eingecheckt. Auf meine in Französisch geradebrechte Frage, ob sie das denn in dem Couloir waren, wurde mit einem verschmitzten „Oui“ geantwortet. Als ich auf die Frage, ob wir das denn auch vor hätten mit Ja antwortete, wurden wir von ihren bohrenden Alpinistenblicken gewogen und für zu leicht befunden. Sie blieben aber freundlich und meinten nur „C’est une Tour tres lounge!“, wobei in dieser Aussage mitschwang: „Ihr verweichlichten Freerider kommt doch kaum die 1150 Höhenmeter zum Einstieg der Rinne hoch, geschweige denn die nächsten 500 steilen Meter. Auf meinte Frage, wie denn der Schnee im Couloir sei machten sie entweder Schwimmbewegungen oder gingen mit der Handfläche zur Hüfte, was in der internationalen Zeichensprache der Skifahrer gleichbedeutend mit „absurd tief“ ist. Aber sie alle strahlten und meinten „trés trés bonne“! Dass sie mit der Einsinktiefe nicht gescherzt hatten sollten wir noch früh genug merken.
Am nächsten Morgen fassten wir uns ein Herz, packten alle notwendigen Sachen und waren die ersten beim Frühstück, noch vor den Verwegenen. Um neun Uhr begannen wir mit dem Aufstieg und Dank der perfekt angelegten Spur flogen wir für unsere Verhältnisse dem eigentlichen Couloir entgegen. Alles lief super und wir sahen uns schon in die Fußstapfen von Anselme Baud, dem Steilwandpionier, treten, als wir die Ski an den Rucksack schnallten, weil das Couloir zu steil für eine Aufstiegsspur mit Ski wurde.

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Ab hier hörte der Spaß auf und sogar Skialpinismus an sich wurde als Konzept in Frage gestellt mit den Worten. „Dieser Scheiß macht doch echt Niemandem Spaß“

Schlagartig verwandelten wir uns von Gore tex gewandeten Outdooreroberern in hilflose Wühlmäuse auf Vertikalmission. Alle Spuren vom Vortag brachten nichts, Schritt um Schritt stapften und krabbelten wir uns nach oben. Es half nichts. Auf etwa 3400m, nach etwa 1400m Gesamtaufstieg und 250m wühlen im Couloir, gaben wir entkräftet auf.

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Welcome to hell.

Allerdings war das Couloir oben auch recht eng und bereits ziemlich von der Grupe vorher zerfahren, so dass wir nicht wirklich etwas verpasst haben. Und da uns faulen Freeridern das alpinistische Bezwingergen fehlt, waren wir trotzdem verdammt stolz, als wir uns an die Abfahrt machten. 5 Stunden rauf, 10 Minuten runter so lautete die nüchterne Bilanz des ersten Tages auf Tour.

Der nächste Tag verlangte nach Entspannung und so suchten wir uns eine Tour mit Liftunterstützung raus. 400 hm rauf, 1500 hm runter klang für uns sehr vernünftig. Leider hatte ich mir zwar die Beschreibung durchgelesen, aber die Crux unserer Tour wieder verdrängt, denn als wir oben ankamen und das Seil erblickten fiel mir spontan wieder der Satz ein „Ein Fixseil erleichtert den Abstieg zu Fuß, um zum Einstieg der Abfahrt zu kommen“. Nach einigem hin und her packten wir die Ski, respektive das Board an den Rucksack und machten uns an den 30m Spaziergang den gefrorenen Schotter hinunter.

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Alja und das Fixseil. Fixseile gibt es in Apotheken als Medikament gegen Angstzustände.

Der Alpinist marschiert so etwas mit einem flotten Lied auf den Lippen blind hinunter, aber uns beschäftigte die ganze Aktion doch erheblich. Auch mental. Während meines Abstiegs hatte ich eine sehr innige Beziehung zu diesem Fixseil. Wirklich. Ich war ihm sehr dankbar für seine Nähe und Kälte in meinen verkrampften Fingern, obwohl ich eigentlich immer gut stehen konnte. Anscheinend sind wir aber nicht die Einzigen gewesen denen das zu schaffen machte, denn eine solche Abfahrt, die mit so wenig Aufstieg zu erreichen ist, hat normalerweise mehr als eine Hand voll Spuren. Jetzt wurde uns klar warum auch einige an der Aufstiegspur herunter gefahren sind und nicht auf der Rückseite. Letzlich war es aber viel entspannter als gedacht und wir hatten wieder eine nette Linie eingesackt.

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Endlich geschafft, jetzt nur noch zum Einstieg fahren und den Pulverschnee genießen.

Auf der Einkaufsfahrt nach Evolene fiel uns auf, dass zwar viele Standardsachen bereits Spuren hatten, aber die Mont Etoile Ostseite noch unbefahren war. Da das Ding aber über 1000 hm kontinuierlich knapp 35 Grad und die oberen 200 hm bis 40 Grad haben, muss es aber sehr sicher sein, um dort hineinzufahren, denn wenn man etwas auslöst kann man sich auf einen langen Weg nach unten durch große Geröllblöcke einstellen. Keine schöne Aussicht. Am nächsten Tag war Stufe zwei, wir fühlten uns fit und 1500 hm Aufstieg sind doch ein klacks. Dachten wir. Nachdem wir uns endlich auf dem undendlichen langen flachen Anstieg nach oben geschleppt hatten, wartete die Abfahrt auf uns.

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Alm Öhi Idylle auf den 1500m hinauf zum Mont Etoile

Auf einmal sahen die kontinuierlichen 1000 hm bestes Gelände gar nicht mehr so einladend aus, obwohl keine Spuren drin waren. Die Sonne verabschiedte sich langsam aus dem Hang und es war Zeit eine Entscheidung zu treffen. Der Hang war nach allem Risikomanagement fahrbar, trotzdem ist es immer ein mulmiges Gefühl etwas als Erster zu befahren (nicht dass Spuren Sicherheit bedeuten, aber man fühlt sich dann in seiner Entscheidung weniger allein). Ich fuhr in die Flanke ein, jagte in großen Schwüngen hinunter und hielt erst nach 500 Höhenmetern wieder an einer Stelle an, die zwar kein Safespot war, mir aber genug Zeit zur Rekation gelassen hätte wenn Alja etwas ausgelöst hätte. Ich schaute Alja zu wie auch sie in großen Highspeed Turns eine zweite Spur auf die weiße Leinwand staubte. Der  Rest war entspanntes Genußfahren im 35° Pulver. Nur kurz vor Ende gaubten wir einer alternativen Routenbeschreibung und wollten eine steilere Variante als alle anderen fahren, was zu spannenden Momenten an Felsenabbrüchen in einem Bachbett führte, da die Beschreibung und auch die topographische Karte das Gelände etwas optimistisch dargestellt hatten. Wir fanden zwar einen Ausweg aus dem Abbruchlabyrinth, aber letztlich ist die Schwarmintelligenz der Masse und ihre Wegfindung manchmal ein guter Anhaltspunkt, wenn man es nicht besser weiss. Die beiden Tourengeher, die anscheinend zehn Minuten später unseren Spuren gefolgt sind, stutzten jedenfalls nicht schlecht, als sie im verschneiten Bachbett oberhalb eines Wasserfalls standen.
Am nächsten Tag wollten wir zum Abschluss noch eine gemütliche Runde gehen, brachen das Ganze aber nach 250 hm im Nebel ab, denn wenn man nicht mal mehr sieht wo es hoch oder runter geht, muss man sich nicht noch für eine verkrustete Abfahrt in alpine Gefahr bringen. Um 11 Uhr saßen wir wieder im Auto und machen virtuelle Häkchen hinter unsere gedankliche Linienliste.
Um im 80er Filmjargon zu bleiben. „We’ll be back!“

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Als Erdkundelehrer fahre ich natürlich nur in Skiregionen, die auch geomorphologisch was her machen. Ich habe Alja auch ein Referat zu diesen postglazialen Strukturen vorbereiten lassen. Jahaa!